Eine Scheinselbständigkeit liegt vor, wenn eine Person formal als Selbständiger oder Freiberufler arbeitet, faktisch jedoch die Merkmale eines Arbeitnehmers erfüllt. Das bedeutet, dass die Person im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig ist, aber dennoch offiziell als selbstständig bezeichnet wird.
Dies führt dazu, dass sowohl sozialversicherungsrechtliche als auch arbeitsrechtliche Regelungen umgangen werden. Folgende Merkmale können auf eine Scheinselbständigkeit hindeuten:
- Weisungsgebundenheit: Der vermeintlich Selbstständige ist in erheblichem Maße an die Weisungen des Auftraggebers gebunden, insbesondere hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort und der Art der Ausführung der Arbeit.
(Grundlage z.B. die Gewerbeordnung) - Eingliederung in die Betriebsorganisation: Der Selbstständige ist stark in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden und nutzt dessen Infrastruktur, wie Büro, Arbeitsmittel oder IT-Systeme.
(Striktes Einhalten von Vorgaben seitens des Auftraggebers) - Fehlende Unternehmerische Entscheidungsfreiheit: Es bestehen keine oder nur sehr eingeschränkte unternehmerische Entscheidungsfreiheiten, insbesondere bezüglich der Art und Weise der Auftragsdurchführung.
(Im Rahmen des Auftrags) - Arbeiten auf Rechnung eines Auftraggebers: Der Selbstständige ist überwiegend oder ausschließlich für einen Auftraggeber tätig. Dies führt oft dazu, dass die Einnahmen fast vollständig von diesem einen Auftraggeber abhängen.
(Wirtschaftliche Abhängigkeit, ähnlich wie beim Arbeitnehmer) - Keine unternehmerischen Risiken: Der Selbstständige trägt kaum unternehmerische Risiken, wie sie bei echten Unternehmern üblich sind. Dies kann z.B. durch feste Honorare, die unabhängig vom Erfolg der Tätigkeit gezahlt werden, deutlich werden.
- Kein eigenes Personal: Der vermeintlich Selbstständige beschäftigt in der Regel kein eigenes Personal oder nutzt keine nennenswerten eigenen Betriebsmittel.
Die rechtlichen Folgen einer festgestellten Scheinselbständigkeit sind gravierend. Der Auftraggeber kann rückwirkend zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen verpflichtet werden, und es drohen straf- und bußgeldrechtliche Konsequenzen. Zudem kann der vermeintlich Selbstständige Anspruch auf die Rechte eines regulären Arbeitnehmers erheben, wie z.B. Kündigungsschutz, Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Rechtsgrundlagen (ohne Obligo )
1. Sozialgesetzbuch (SGB)
- § 7 SGB IV: Dieser Paragraph definiert den Begriff der „Beschäftigung“ und legt fest, dass eine Beschäftigung vorliegt, wenn eine Tätigkeit nach Weisungen und in eine Arbeitsorganisation eingegliedert ausgeführt wird. Dies ist der zentrale Ansatzpunkt zur Feststellung einer Scheinselbständigkeit, da es hier um die Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung geht.
- § 28e SGB IV: Dieser Paragraph regelt die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen. Wird eine Scheinselbständigkeit festgestellt, muss der Arbeitgeber die ausstehenden Beiträge rückwirkend nachzahlen.
2. Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)
- § 2 ArbGG: Dieser Paragraph regelt die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis. Bei Feststellung einer Scheinselbständigkeit können arbeitsrechtliche Ansprüche wie Lohnfortzahlung, Urlaub oder Kündigungsschutz vor den Arbeitsgerichten geltend gemacht werden.
3. Einkommensteuergesetz (EStG)
- § 19 EStG: Dieser Paragraph definiert Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Wenn eine Scheinselbständigkeit festgestellt wird, gelten die Einkünfte als solche aus einem Arbeitsverhältnis und unterliegen somit der Lohnsteuerpflicht.
- § 42 EStG: Hier wird das Verbot des Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten geregelt. Im Fall einer Scheinselbständigkeit kann das Finanzamt die Vertragsgestaltung korrigieren, um Steuerumgehung zu verhindern.
4. Gewerbeordnung (GewO)
- § 15 GewO: In Verbindung mit der Anmeldung und Abmeldung eines Gewerbes spielt dieser Paragraph eine Rolle, wenn es um die Frage geht, ob tatsächlich eine gewerbliche Tätigkeit vorliegt oder lediglich eine Scheinselbständigkeit.
5. Strafgesetzbuch (StGB)
- § 266a StGB: Dieser Paragraph behandelt die Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt. Arbeitgeber, die Scheinselbständigkeit bewusst nutzen, um Sozialversicherungsbeiträge zu umgehen, können strafrechtlich verfolgt werden.
6. Rechtsprechung
- Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist ebenfalls von erheblicher Bedeutung, da diese Gerichte immer wieder grundlegende Urteile fällen, die die Kriterien für Scheinselbständigkeit präzisieren.
7. Deutsche Rentenversicherung
- Statusfeststellungsverfahren (§ 7a SGB IV): Ein besonderes Verfahren, bei dem die Deutsche Rentenversicherung auf Antrag feststellt, ob es sich bei einem bestimmten Arbeitsverhältnis um eine selbstständige Tätigkeit oder eine abhängige Beschäftigung handelt.